Kapitel 4 Lineare Gleichungssysteme

Abschnitt 4.2 LGS mit zwei Unbekannten

4.2.2 Die Einsetzmethode und die Gleichsetzmethode

Bisher wurden Fragen der Lösbarkeit und der graphischen Lösung von Linearen Gleichungssystemen der Gestalt aus 4.2.1 untersucht.Eine rechnerische Behandlung solcher Systeme steht noch aus, was jetzt nachgeholt werden soll. Dazu betrachtet man ein weiteres Beispiel:
Beispiel 4.2.6
Familie Müller hat für die Renovierung ihres Hauses zwei Kredite in einer Gesamthöhe von 50000 Euro aufnehmen müssen, für die sie pro Jahr zusammen 3700 Euro allein an Zinsen zu bezahlen hat. Für den einen Kreditvertrag fallen 5%, für den anderen 8% jährliche Zinsen an. Über welche Beträge laufen die einzelnen Kredite?
Man bezeichnet die gesuchten Kredithöhen der beiden Verträge mit x und y. Die Summe dieser beiden Beträge beläuft sich laut Aufgabentext auf 50000 Euro, also lautet die erste Gleichung:

Gleichung (1) : x+y=50000       (in Euro) .

Die Zinslast aus dem mit 5% verzinsten Vertrag beträgt 0.05·x, die aus dem anderen Vertrag mit 8% Zinsen 0.08·y. Beide Lasten summieren sich gemäß Aufgabetext auf 3700 Euro; dies liefert eine zweite Gleichung:

Gleichung (2) : 0.05x+0.08y=3700       (in Euro) .

Wiederum landet man bei einem Linearen Gleichungssystem vom Typ 4.2.1.
Für die rechnerische Lösung stellt man Gleichung  (1) nach y um; es entsteht eine zu (1) äquivalente Gleichung  (1'):

Gleichung (1') : y=50000-x.

Diesen Ausdruck für y kann man nun in Gleichung  (2) für y einsetzen, sodass die resultierende Gleichung nur noch x als Unbekannte enthält und dementsprechend aufgelöst werden kann:

0.05x+0.08(50000-x)=3700 0.05x+4000-0.08x=3700 0.03x=300 x=10000.

Setzt man dieses Ergebnis für x in Gleichung  (1') ein, so folgt:

y=50000-10000 y=40000.

Die gesuchten Kreditvolumina betragen daher 10000 Euro (Vertrag mit 5% Verzinsung) und 40000 Euro (Vertrag mit 8% Verzinsung).
Das voranstehende Beispiel demonstriert auf charakteristische Art und Weise das Vorgehen bei der sogenannten Einsetzmethode:
Info 4.2.7
 
Bei der Einsetzmethode wird eine der beiden linearen Gleichungen in einem ersten Schritt nach einer der Unbekannten - oder nach einem Vielfachen einer der Unbekannten - freigestellt; dieses Ergebnis wird im zweiten Schritt in die andere lineare Gleichung eingesetzt. Es können nun drei Fälle auftreten:
  • Die resultierende Gleichung enthält (nach dem Zusammenfassen gleichartiger Terme) noch die andere der beiden Unbekannten. Das Auflösen der resultierenden Gleichung nach dieser anderen Unbekannten liefert den ersten Teil des Ergebnisses; den zweiten Teil erhält man zum Beispiel, indem man das erste Teilergebnis in die Gleichung aus dem ersten Schritt einsetzt. Die Lösung ist eindeutig. (Gehört diese Lösung allerdings nicht zur Grundmenge, so muss sie ausgeschlossen werden.)
  • Die resultierende Gleichung enthält die andere der beiden Unbekannten nicht mehr und stellt einen Widerspruch in sich dar. Dann besitzt das Lineare Gleichungssystem keine Lösung.
  • Die resultierende Gleichung enthält die andere der beiden Unbekannten nicht mehr und ist automatisch immer gültig. Dann besitzt das Lineare Gleichungssystem unendlich viele Lösungen (wenn sich durch die zulässige Grundmenge keine Einschränkungen ergeben).
Bei dieser Vorgehensweise bestehen gewisse Freiheiten. Es ist nicht festgelegt, welche der linearen Gleichungen des Systems nach welcher Unbekannten - oder Vielfachen davon - aufgelöst werden soll; solange es sich generell um Äquivalenzumformungen handelt, führt jeder der möglichen Wege zum selben Resultat. Die Bevorzugung eines bestimmten Lösungsweges ist zum Teil eine Frage des Geschmacks und zum Teil eine Frage der Geschicklichkeit: Einige Zwischenrechnungen können sich vereinfachen, wenn eine clevere Wahl getroffen wird.
Im Zusammenhang mit der Einsetzmethode sollen die oben angesprochenen Fälle (ii) und (iii) noch an den Linearen Gleichungssystemen aus Beispiel 4.2.4 illustriert werden:
Beispiel 4.2.8
Als Grundmenge bei beiden Linearen Gleichungssystemen legt man wiederum fest.



Gleichung (1):x+y=2 Gleichung (2):2x+2y=1 .

Freistellen der Gleichung (1) nach x liefert x=2-y. Dies in Gleichung (2) eingesetzt ergibt:

2(2-y)+2y=1 4-2y+2y=1 4=1.

Dies ist ein Widerspruch; das LGS besitzt keine Lösung.



Gleichung (1):x+y=2 Gleichung (2):2x+2y=4 .

Freistellen der Gleichung (1) nach y liefert y=2-x. Dies in Gleichung (2) eingesetzt ergibt:

2x+2(2-x)=4 2x+4-2x=4 4=4.

Dies ist immer wahr; das LGS besitzt unendlich viele Lösungen.
Die Einsetzmethode ist nicht das einzige Verfahren, um Lineare Gleichungssysteme rechnerisch zu lösen. Nachfolgend betrachtet man eine weitere Methode, die sehr eng mit der graphischen Lösung eines LGS verwandt ist.
Info 4.2.9
 
Bei der Gleichsetzmethode werden beide linearen Gleichungen in einem ersten Schritt nach einer der Unbekannten - oder nach einem Vielfachen einer der Unbekannten - freigestellt. Die beiden resultierenden neuen Gleichungen werden dann im zweiten Schritt gleichgesetzt. Es können dann abermals die drei im Zusammenhang mit der Einsetzmethode diskutierten Fälle auftreten.
Auch dieses Verfahren beinhaltet gewisse Freiheiten; so ist zum Beispiel nicht vorgeschrieben, nach welcher Unbekannten die linearen Gleichungen freigestellt werden sollen.
Zur Demonstration wird das Eingangsbeispiel nochmals gelöst, jetzt mit Hilfe der Gleichsetzmethode:
Beispiel 4.2.10
Das Lineare Gleichungssystem des einführenden Beispiels lautet:

x+y = 10, x+2y = 13.

Man löst beide Gleichungen nach x auf,

x = 10-y, x = 13-2y,

und setzt die rechten Seiten der beiden Gleichungen gleich,

10-y=13-2y,

was auf y=3 führt. Dieses Ergebnis kann man in eine der beiden nach x aufgelösten Gleichungen einsetzen, um x=7 zu erhalten.
Aufgabe 4.2.11
Bestimmen Sie die Lösungsmenge für das Lineare Gleichungssystem

7x+2y = 14, 3x-5y = 6

mit Hilfe der Gleichsetzmethode.